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Startseite Geschichte Der Mineralbrunnen Teil 2: Kurbad Roisdorf

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Teil 1: Der "sure Born" Teil 2: Kurbad Roisdorf Teil 3: "Roisdorfer natürlich!" Der Entdecker des Mineralbrunnens Stimmen aus dem 19. Jahrhundert Die Mineralwasser-Revolte von 1844

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Teil 2: Kurbad Roisdorf

Der Mineralbrunnen in der Blütezeit des 19. Jahrhunderts

Brunnenpächter Gerhard von Carnap

Krugstempel des Pächters Koch

Auf die wechselnden Brunnenpächter ab 1827 sei an dieser Stelle nicht näher eingegangen. Bemerkenswert aus dieser ist Zeit immerhin, dass ein Pächter namens Koch erstmals auf einen Krug nicht mehr nur „Alfter“, sondern auch „Roisdorf“ stempeln ließ. Vor 1836 – genauere Daten liegen hierüber nicht vor – übernahm den Brunnen gleich auf hundert Jahre ein Mann, der große Pläne zu verwirklichen suchte, den Brunnen zu seiner größten Blüte bringen, letztlich jedoch scheitern sollte: Gerhard Freiherr von Carnap.

Aus Wupperfeld bei Barmen stammend, hatte Gerhard Freiherr von Carnap gegen Ende der 1820er Jahre die Burg Bornheim und das Botzdorfer Haus Hohenlind gekauft, zu denen mehrere Güter am Vorgebirge, insgesamt 1.900 Morgen Land kommen sollten. Von hier aus entfaltete er in den folgenden Jahrzehnten seine zahlreichen geschäftlichen und politischen Aktivitäten. 1837 wurde er ehrenamtlicher Bürgermeister der Bürgermeisterei Waldorf, zu der ja auch Roisdorf gehörte. Er war Mitbegründer und Vorsitzender des Landwirtschaftlichen Centralvereins für Rheinpreußen und Begründer der landwirtschaftlichen Fakultät in Bonn, er wirkte als Kreisdeputierter und Abgeordneter der rheinischen Ritterschaft im Provinziallandtag, war zeitweise dessen Präsident.

Gerhard Freiherr von Carnap

Mit großer Energie betrieb Carnap den weiteren Ausbau der Abfüll- und Versandanlagen sowie des Kurbetriebs – dies spätestens seit 1841 gemeinsam mit dem Kölner Kaufmann und Weinhändler H.M. Hons, der wohl nicht nur als Administrator des Brunnens, sondern auch als Unterpächter bzw. Mitinhaber des Geschäfts fungierte. Ortsvorsteher Rech, der sich noch an die Aktivitäten von Carnap und Administrator Hons erinnern konnte, berichtete hierüber:

„Bis dahin hat die Mineralquelle noch wenig Einfluss auf den Ort Roisdorf selbst ausgeübt. Nun fing es aber an, und wurde lebendig in Roisdorf, denn Herr von Carnap ließ aus aller Herren Ländern Baumeister, Bergleute, Chemiker, und Gott weiß was alles kommen, legte eine Ziegelei an, baute einen Lagerkeller und Lagerschuppen, fasste das ganze mit Mauren ein; die Wege außerhalb des Brunnens wurden an den Seiten mit Kugelakazienbäumen bepflanzt. (Er) baute eine Krugfabrik und einen Krugofen, und zwar hinten an den Benden, dicht an die Alfterer Grenze, wo noch ziemlich Sumpf vorhanden war, und (man) als Unterlage für den Krugoffen schwere Weidenstämme benutzen benutzen musste. .... Das Holzwerk am Brunnen selbst, mit dem Tempel, wurde beseitigt, dann mit sehr schönem runden Haustein eingefasst, und um den Rand der Quelle ein großer, sehr schöner Raum geschaffen, so das man schöpfen und trinken konnte, dann auch über der Quelle ein großer extra Bau her(ge)stellt. An der anderen Seite am Berge wurde eine ganze reihe alte Häuser angekauft und beseitigt, (dann) abgebrochen."

Roisdorfer Brunnen, ca. 1840

Ein im Jahre 1844 herausgegebener Stahlstich zeigt das Brunnengelände in dieser Zeit. Man erkennt im Vordergrund die Brunnenstraße und das Brunnenhaus aus dem 18. Jahrhundert, an das sich Holzschuppen anschließen. Die Lagerschuppen und anderen Nebengebäude, die auf der Aquatinta von 1824 zu sehen waren, sind verschwunden. Auch der ist der hölzerne Tempel nicht mehr schlicht und viereckig, sondern zehneckig und kunstvoll verziert. Unter ihm dürfte sich die genannte Brunnenstube, in der das Wasser abgefüllt wurde, befunden haben. Ein weiterer Tempel auf einer Art Aussichtspodest befindet sich im Hintergrund. Die ganze Anlage ist mit einer niedrigen Mauer eingefasst und über drei Eingänge zu erreichen. Die Brunnenallee scheint, hier hat der Zeichner sich ein wenig künstlerische Freiheit erlaubt, direkt auf die Türme der Stadt Bonn zu führen. Der Ziegenhirte im Vordergrund ist natürlich eine reine Staffagefigur, die den idyllischen Charakter des Ortes betonen soll.

Krugstempel des Pächters von Carnap

Mit der mehr oder minder beabsichtigten Verwechslung des Roisdorfer Wassers mit dem aus Niederselters räumte von Carnap auf. Er verwirklichte die schon in den 1820er Jahren geforderte Umgestaltung der Krugstempel und änderte die Umschrift „S. A L F T E R. S“ in "Roisdorf bei Coeln" um, setzte in Großbuchstaben "RHEIN-PREUSSEN" hinzu. Der Bezug auf Alfter, der spätestens seit der Trennung Roisdorfs von der Herrlichkeit Alfter ohnehin anachronistisch war, wurde damit endgültig aufgegeben.

Mit dem Absatz des Mineralwassers ging es aufwärts. Setzte man 1835 nur 70.000 Krüge ab, so waren es 1839 110.000, 1841 gar 370.000 ganze und 30.000 halbe Krüge. Agenten wirkten in größeren Städten, der Versand nach Übersee lebte wieder auf.

Der Brunnen als Kurbetrieb

König Friedrich-Wilhelm IV. von Preußen

Eine ebenso erfreuliche Entwicklung wie der Wasserversand nahm auch die Zahl der Kurgäste in Roisdorf. Während 1835 keine Gäste zu verzeichnen waren, wurde die Heilquelle 1836, wie vermerkt wurde, „fast den ganzen Sommer hindurch von Kurgästen besucht, welche den wohlthätigen Einfluss des angenehm ländlichen Aufenthaltes und der damit verbundenen Brunnenkur zu rühmen finden." Bis zu 80 Gäste aus Barmen, Elberfeld, Remscheid, Düsseldorf und den Niederlanden, die z.T. mehrwöchige Aufenthalte nahmen, zählte man in diesen Jahren – Wochenendgäste kamen hinzu. 1838 war die Zahl der Kurgäste so hoch, dass es an Unterkünften mangelte und 1840 waren unter ihnen sogar „15 ausländische Individuen". Mit Dr. Friedrich August Hankwitz aus Reppen bei Frankfurt/ Oder wurde ein eigener Kurarzt für die Gäste verpflichtet.

Bemerkenswert war in dieser Zeit der Besuch des Brunnens durch den preußischen Kronprinzen Friedrich Wilhelm. Wir kennen das Jahr nicht, es muss in der zweiten Hälfte der 1830er Jahre gewesen sein. Ortsvorsteher Rech schrieb hierüber: „Dieser ... kam von Cöln, über Bornheim, stieg bei Herrn von Carnap in Bornheim ab, und kam dann mit diesem zusammen nach dem großartig festlich geschmückten Orte Roisdorf, wo Sie durch die ganze Bevölkerung und den Schulkindern in hoch feierlicher Weise empfangen, nach dem Mineralbrunnen geführt (wurden), wo Sie schöpften und tranken, dann nach Besichtigung der Anlage weiter über Alfter nach Bonn den Rhein herauf fuhren." Während des Besuches kam es zu einer rührenden Szene, die Rech nicht vermerkt: Ein Roisdorfer bat den Kronprinzen kniefällig um Gnade für seinen Sohn, der in Hemmerich einen anderen jungen Mann im Streit totgeschlagen hatte. Der Sohn soll in der Tat begnadigt worden sein.

Bahnhof Roisdorf, 1950er Jahre, links daneben das ehem. Kurhotel Rech

Entwickelten sich der Absatz des Brunnenwassers und die Kurgastzahlen in Roisdorf sehr erfreulich, so versprach man sich einen weiteren Aufschwung durch die Anbindung des Ortes an die Strecke der 1844 eröffneten Bonn-Cölner-Eisenbahn, deren Bau von Carnap maßgeblich mit betrieben hatte. Er hatte erreicht, dass die erste Haltestelle nach dem Bonner Stationsgebäude nicht in etwa Bornheim, oder, wie zunächst geplant war, am Roisdorfer Herseler Weg eingerichtet wurde, sondern dort, wo die Brunnenallee auf die Bonner Landstraße stieß.

Die frühen 1840er Jahren waren entsprechend dem erwarteten Aufschwung durch weitere Ausbaumaßnahmen der Brunnenanlagen und ihrer Umgebung bestimmt. Schräg dem neuen Stationsgebäude gegenüber, an der westlichen Ecke Brunnenallee/ Bonner Straße, entstand ein stattliches Kurhaus, ein klassizistischer Bau mit aufgesetztem Belvedere. Südlich des Stationsgebäudes errichtete man ein Kurhotel, das Heribert Rech betrieb, und nördlich davon einige für Fremdenbesuch eingerichtete Häuser. Im Stationsgebäude, südlich des heutigen Bahnhofs, übernahm ein Wirt namens Nonnen die Restauration.

Es entstand so ein repräsentatives architektonisches Ensemble. Keines der Gebäude, die später alle einer anderen Nutzung zugeführt wurden, ist heute mehr erhalten. Das frühere Kurhaus sollte gegen Ende des Zweiten Weltkriegs einem Brand zum Opfer fallen. Bei genauem Hinsehen kann man indes auch im heutigen Nachfolgebau die Fensterachsen des Kurhauses erkennen. Das nördlich dem Bahnhof benachbarte villenartige Gebäude wurde durch einen Bombentreffer zerstört. Das ehemalige Kurhotel Rech war vor seinem Abbruch um 1970 in Sozialwohnungen unterteilt und in marodem Zustand. Das stattliche Stationsgebäude wurde in der selben Zeit ohne Rücksicht auf seine Denkmalwürdigkeit beseitigt - es teilte damit das Schicksal so manchen historischen Gebäudes in Roisdorf.

ehem. Kurhaus, später Fabrik Gammersbach, ca. 1905

Doch zurück zur Glanzzeit des Kurbades Roisdorf: Vom Kurhaus aus verlief westlich der Brunnenallee und parallel zu ihr eine von Linden beschattete Allee durch die mit Springbrunnen, Tempeln mit Affen und ähnlichem Zierrat versehene Anlage. Das Gebiet trägt bis heute den Flurnamen „Auf der Lüste“, war mithin ein Garten, in dem die Gäste des Brunnens lustwandeln konnten. Die Lindenallee führte mittels einer schönen Brücke über Busch und Sumpf und weiter über Treppenstufen auf das Plateau des Lagerkellers und zum Mineralbrunnen. Kahnpartien, Freibaden, und Angelfischerei veranstaltete man für die Abwechslung der Kurgäste. „Wie man so einigermaßen in Ordnung war", berichtet später Ortsvorsteher Rech, „fingen auch schon Sonntags die Konzerte an. Das erste Konzert am Mineralbrunnen auf dem Kellerplateau war prachtvoll eingerichtet, und ein voller Besuch hatte sich eingefunden. In den anderen Restaurationen war auch gelegentlich Konzert und Ball, wo es aber meistens sehr an Besuchern mangelte."

Wolfsburg nach Wilhelm Graf Mörner

In das Kurortkonzept mit eingebunden war auch die Roisdorfer Wolfsburg, die von Carnap erworben hatte. Johann Bernartz aus Roisdorf betreute dort die Restauration, die sich alsbald großer Beliebtheit als geselliges Ausflugslokal erfreute. Für Pferderennen und andere Attraktionen bei der Wolfsburg wurde mit Zeitungsanzeigen geworben.

Villa Imhoff

Als Villen, die sich wohlhabende Bürger aus den Städten als Sommersitze im aufstrebenden Kurbad erbauten, seien das Haus Imhoff in der Nähe des Brunnens, die Villa Anna im Oberdorf und auch das Haus Wittgenstein auf den Fundamenten der alten Burg Metternichsberg genannt.

Prominenter Besucher der Wolfsburg zu dieser Zeit war der berühmte Bonner Professor Ernst Moritz Arndt, der auf seinen Wanderungen rund um Bonn im rheinischen Land gerne in Roisdorf einkehrte und mit seinem eigenen Krug Mineralwasser schöpfte und dem Roisdorfer Kurbetrieb eine große Zukunft prophezeite. Er war es, der das Roisdorfer als "ein Wasser von altem, verdienten Gebrauch und Ruf!" lobte.

Die Mineralwasser-Revolte 1844

Vorgebirgsbauern des 19. Jahrhunderts

Eine bemerkenswerte Episode aus der Zeit von Carnap und Hons als Inhaber bzw. Administrator des Brunnens sei jedoch noch eigens erwähnt. Am 24. Juni 1844 richtete der Roisdorfer Gemeindevorsteher Heinrich Tönnessen folgendes Schreiben an den Alfterer Gemeinderat Rech in Olsdorf: „In kurzen Worten teile ich ihnen dieses mit, dass wir heute Mittag unsere Rechte am Brunnen beibehalten wollen, gestern haben wir mit Hons (also dem Brunnenverwalter) über das Eigentum gesprochen, er wollte sich aber nicht darüber einlassen. Wollen sie ihr Recht auch beibehalten, so sprechen sie mit ihrer Gemeinde mit vernünftigen Männern und kommen diesen Mittag zwischen 11 und 12 Uhr hierher. Hons hat schon die Polizei bestellt, tut aber nichts, wir holen 12 Uhr an der Quelle Wasser. Noch bemerke ich ihnen, über dieses Schreiben kam Hons zu mir und sagt, ich sollte alles sein lassen, ich sollte mit ihm gehen, er wollte einige Flaschen Schabangel zum besten geben, ich gab ihm zur Antwort, ich bleibe bei meinem Wort."

Aufruhr und Revolte im friedlichen Kurort Roisdorf? Was war geschehen? Administrator Hons hatte das Brunnengelände ringsum einfriedigen und es überdies nachts bzw. außerhalb der Betriebszeiten verschließen lassen. Damit war der Bevölkerung der Zugang zu der unter der offenen Laube befindlichen Quelle versperrt. Zu diesen Maßnahmen sah er sich genötigt, da die Roisdorfer Sandkrämer ihr Geschäft ausweiteten, indem sie heimlich mit Mineralwasser gefüllte Krüge an ihre Sandkarren banden und beides in Bonn verkauften. Offenbar gedachte Hons, diese unlautere Konkurrenz zu unterbinden und zudem zu verhindern, dass unsauber abgefülltes Wasser in irgendwelchen Krügen in den Handel gelangte und so möglicherweise den Ruf des Roisdorfer Brunnens schädigte.

Die Roisdorfer indes sahen in ihrem Tun kein Unrecht – schließlich war es ihr eigener Brunnen, aus dem sie schöpften. Seit eh und je hatten sie aus dem Brunnen das Wasser für ihren täglichen Bedarf geholt und sich hiervon auch nicht durch die kommerzielle Nutzung des Brunnens seit 1775 abhalten lassen. Die Frage, die hinter dem Konflikt stand, war in der Tat die, wem der Brunnen eigentlich gehöre. Nach mündlicher Überlieferung war die Quelle ursprünglich Eigentum der Gemeinde, also Allmende der Roisdorfer Einwohner zu deren freien und gemeinschaftlichen Nutzung gewesen, bevor der Graf sie sich unrechtmäßig angeeignet hatte. Schriftliche Urkunden gibt es hierüber leider nicht.

Offenbar wollte der Ortsvorsteher Tönnessen am Mittag des Johannistages 1844, also zu dem Zeitpunkt, an dem die Roisdorfer Bevölkerung dort traditionell ihr „Pötzeschuëre-Fest“ feierte, durch Wasserentnahme den Fortbestand des Rechts zum allgemeinen Gebrauch beweisen bzw. durchsetzen. Wir wissen nicht, wie die „Mineralwasserrevolte" weiter verlief und ausging. Von eingeschlagenen Schädeln oder dergleichen wird jedenfalls nichts berichtet. Man wird sich wohl doch friedlich geeinigt haben. Den Roisdorfern blieb der Zutritt zur Brunnenstube weiterhin grundsätzlich gestattet, aber unsaubere Gefäße wurden nicht geduldet. Dies gilt im Grundsatz bis heute.

Das Ende des Kurbads Roisdorf

Gammersbach'sche Lederfabrik

Leider rechneten sich die Investitionen von Carnaps nicht. Trotz aller Bemühungen blieb der Kurbetrieb ein Zuschussgeschäft, konnte man sich der zunehmenden Konkurrenz durch neuerbohrte Quellen in noch reizvolleren Gegenden nicht erwehren. Von Carnap hatte sich aber nicht nur mit dem Roisdorfer Brunnen, sondern auch mit anderen seiner weitgespannten Geschäfte übernommen. Bereits 1850 ging das Kurhaus an die Schafhausensche Bank über, verlegte man dort hinein die Lederfabrik des Franz Wilhelm Gammersbach aus Miel, für die nicht zuletzt die Anbindung an das Eisenbahnnetz von Vorteil zu sein schien. Gammersbach bebaute in der Folge das Gelände des Kurparks mit der Gerberei, Lackleder- und Militäreffektenfabrik, die noch bis in die 1950er Jahre Bestand haben und einer der Hauptarbeitgeber Roisdorfs werden sollte.

Die Entwicklung Roisdorfs sollte somit in der Folge in Richtung eines – wegen des Bahnanschlusses günstigen – Industriestandorts und gleichzeitig eines weiterhin von Landwirtschaft geprägten Ortes gehen, nicht aber in Richtung eines Kurortes. Die Bevölkerung in der zweiten Hälfte des 19. Jahrhunderts wuchs gleichwohl rasch an: Zählte man im Jahr 1844 noch 111 Häuser und 620 Einwohner, so sollte es im Jahre 1900 in Roisdorf 260 Häuser und 1621 Einwohner geben. Dies sollte nicht ohne soziale Spannungen vor sich gehen. So trennte ein tiefes Misstrauen die Industriearbeiter an der „Bahn" und die alteingesessenen Bauern des „Dorfs" und des „Oberdorfs". Heiraten hin und her gab es natürlich, doch waren sie verpönt.

Weitere Gewerbebetriebe, die sich in den Hinterlassenschaften des Kurorts ansiedelten, wie die Sandmühle in der Restauration neben dem Bahnhof, taten ihr übriges dazu und auch die Ansiedlung der Obst- und Gemüseversteigerung im frühen 20. Jahrhundert ist in dieser Entwicklung zu sehen.

Nachfolger des von Kolf 1848 gestifteten Wegekreuzes in der Brunnenstraße

Der Roisdorfer Brunnen ging in den frühen 1850er Jahren, das genaue Jahr ist nicht bekannt, wieder an den Fürsten von Salm-Reifferscheidt zurück. Als Brunnenverwalter ist für diese Zeit Johann Rainer Kolf bezeugt, Schwiegersohn des Betreibers der Restauration in der Wolfsburg Johann Bernartz. In einem Werbeblatt verkündete die Mineralbrunnenverwaltung 1869: Die Roisdorfer Anstalt liefert ein durchaus natürliches Mineralwasser einfacher Füllung in Krügen und in doppelkohlensaurer Füllung in Flaschen ohne Beimischung irgend eines fremden Stoffes. Hiervon kann sich jeder überzeugen, da jeden Tag geöffnet und in Begleitung des Brunnenverwalters Herrn Kolf die Arbeiten und Abfüllungen bereitwilligst gezeigt werden.

Die Zustände am Brunnen sollen damals indes recht kläglich gewesen sein: Der hölzerne Brunnentempel wurde nur schließlich noch durch Stützbalken aufrecht gehalten. Sonst war (an Produktionsgebäuden) nur noch ein Schuppen vorhanden. Es gab keine Gerätschaften und nur noch 2 Männer und 3 Frauen waren während einiger Stunden des Tages dort beschäftigt. Noch 1869 verließ Kolf den Brunnen – um später an der Ecke Brunnenstraße/ Lindenberg ein eigenes Gasthaus mit Kolonialwarenladen zu eröffnen, die spätere Wirtschaft „Zur Wolfsburg“, das heutige Ristorante Fratelli. Die Verwaltung des Brunnens ging an den fürstlichen Rentmeister Zirkel über, unter dem der Versand einen noch schlimmeren Verfall nahm, als unter seinen Vorgängern. Verlässliche Informationen gibt es aus dieser indes Zeit kaum.

Haus Schmidt/Rech in der Siegesstraße 2005

Immerhin wagte man damals offenbar den Neubau des Kontorhauses: Das barocke Brunnenhaus, wohl 1775 errichtet und um 1800 ausgebaut, hatte mit der Zeit ausgedient. Anlass für seinen Abbruch war ein Brand, der sich im Jahre 1860 ereignete. Es wurde schon eingangs darauf hingewiesen, dass man den Bau translozierte, und zwar in die Siegesstraße, an der Ecke zum Zuweg zum Clarenhof, der heutigen Heilgersstraße. Damals kaufte der Landwirt Heinrich Schmidt die rußgeschwärzten Balken, und baute das Haus dort, wo seine Familie, die man damals schon Müschers nannte, ein älteres Anwesen gehabt hatte, im selben Stil auf wie zuvor, samt barockem Mansardendach. Das Fachwerk wurde indes – wie in dieser Zeit aufkommend – nicht mehr mit Lehm, sondern mit Ziegelsteinen ausgefüllt, zudem fügte man einen Torbau aus Fachwerk und eine Scheune ganz aus Backstein an, gestaltete das Kontor- und Wirtshaus damit zu einem Bauernhaus nach Vorgebirgsart um. Der vormalige Tanzsaal im Obergeschoss diente zunächst als Fruchtspeicher, wurde dann später in Zimmer unterteilt. Scheune und Torbau gingen leider beim Ausbau des benachbarten Roisdorfer Baches in den 1980er Jahren verloren. Das alte Brunnenhaus steht indes bis heute und genießt trotz der unnötigen baulichen Verluste seinen verdienten Denkmalschutz und wurde liebevoll restauriert.

neues Kontorhaus 1860

Das neue Kontorhaus am Brunnen, etwas versetzt zum alten Kontorhaus stehend, wurde in den Folgejahren, also in den 1860er Jahren, errichtet. Das genaue Erbauungsjahr ist unbekannt. Ein Stahlstich, wohl eher eine Planzeichnung als eine Abbildung des bestehenden Gebäudes, zeigt das Haus von der Brunnenstraße aus in seiner ganzen Pracht: Das an der Brunnenstraße, direkt in der Achse der Schussgasse gelegene Gebäude verfügte über ein vom Hof aus zugängliches, massiv gebautes Untergeschoss, in dem die Brunnenverwaltung untergebracht war. Eine Außentreppe führte vom Hof, der um einige Stufen tiefer als das Straßeniveau gelegen war, zu dem repräsentativen ersten Geschoss des Gebäudes hinauf. Dieses war, wie der Vorgängerbau, als Fachwerkgebäude errichtet, jedoch mit solch kunstvoll geschnitztem und gedrechseltem Holzwerk versehen, dass es keineswegs einen bäuerlichen Eindruck, sondern den eines großbürgerlichen Landhauses machte. Die Gefache waren mit Backsteinen ausgefüllt, die z.T. ornamental angeordnet waren und den verspielten Charakter des Gebäudes unterstrichen. Das erste Geschoss, dessen Eingang ein hölzerner Giebel mit darüber liegendem geschnitztem Balkon beschützte, wurde von hohen Fenstern beleuchtet. Zur Brunnenstraße hin befand sich, dem Stahlstich zufolge, vor dem reichverzierten Dachgeschoss ein weiterer hölzerner Balkon.

Weiter zu Teil 3: "Roisdorfer natürlich!"