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Das Maria-Hilf-Kapellchen

Ein Überrest des ehemaligen Roisdorfer "Sieches"

Maria-Hilf-Kapelle, 1950er Jahre

Für viele Roisdorfer wäre es undenkbar, die Gräber ihrer verstorbenen Angehörige zu besuchen, ohne am Maria-Hilf-Kapellchen in der nordwestlichen Ecke des Friedhofs für ein kurzes Fürbittgebet halt zu machen und in den dortigen ein paar Cent zu werfen, mit denen Hl. Messen zu Ehren der Gottesmutter gestiftet werden. Der Innenraum des bescheidenen Kapellchens ist stets von fleißigen Händen gereinigt und liebevoll geschmückt, auf dem Altärchen vor dem Bild der Mutter vom Guten Rat brennt immer ein Wachslicht.

altes Heiligenhäuschen an der Ecke Bonner Straße/ Widdiger Weg Anfang 1930er Jahre

Das Kapellchen, ein kleiner, quadratischer Bau aus Bruchsteinen mit schiefergedecktem Pyramidendach, der mit einem schmiedeeisernen Gitter verschlossen und vom übrigen Kirchhof durch eine Mauer abgetrennt ist, entstand erst im Zuge der Ummauerung des Kirchhofs zu Beginn der 1930-er Jahre. Wie bei der Ummauerung aufgenommene Photographien zeigen, besaß das Kapellchen einen damals beseitigten, aus Ziegelsteinen errichteten Vorgängerbau, der - schräg zur Kirchhofsecke stehend - wohl einige Meter weiter östlich gelegen war. Ein schiefergedecktes Satteldach bedeckte den längsrechteckigen Raum, dessen zur Bonner Straße gerichteter Eingang ebenso wie der des heutigen Kapellchens mit einem Gitter versehen war. Eisenanker an den Seitenwänden lassen erkennen, dass der kleine Raum eine Holzdecke besaß. Über dem Flachbogen des Eingangs hatte man in eine fensterartige Nische eine helle Steinplatte eingelassen, auf der in gotisierener Zierschrift "O Maria Immer hilf"" eingehauen war. Was es mit den "beiden kleinen Theilen rechts und links am Eingang des Kirchofs", von denen berichtet wird, auf sich hatte, entzieht sich unserer Kenntnis. Der Bau dürfte in der ersten Hälfte des 19. Jahrhunderts errichtet worden sein und zu seiner Ausstattung könnte auch noch das - im 20. Jahrhundert überarbeitete - Ölgemälde der Mutter vom Guten Rat gehören.

Aber auch dieser Bau war gewiss nicht der erste an dieser Stelle: Er ersetzte seinerseits ein älteres Heiligenhäuschen, das in Pachtverträgen des 18. Jahrhunderts erwähnt wird, über dessen Gestalt aber nichts zu ermitteln ist.

Maria-Hilf-Kapellchen 2012

Wahrscheinlich ist manchem älteren Roisdorfer bekannt, dass das Maria-Hilf-Kapellchen oder Heiligenhäuschen in früheren Tagen besondere Bedeutung für das Leben der Roisdorfer Pfarrgemeinde besaß. Man versammelte sich vor dem Kapellchen in früheren Zeiten immer dann zum Gebet zur Gottesmutter, wenn es galt, Krankheit und besondere Not abzuwehren. So rief man hier zum Beispiel im Jahr 1911 Maria um ihre Fürsprache während einer langanhaltenden Trockenheit an, beteten gegen Ende der 1940-er Jahre junge Frauen eine Novene für eine schwerkranke Freundin. Davon, dass die Bitten erhört wurden, zeugten, wie mündlich überliefert wird, Krücken, die im Vorgängerbau des heutigen Kapellchens als Votivgaben aufgehängt waren. Sogar aus umliegenden Dörfern, etwa von Buschdorf aus, soll man in Prozessionen dorthin gewallfahrtet sein.

Gedenkstein für das Sieches an der "Siechesmaar" oberhalb des Heerwegs bei Waldorf

All dies zeigt, dass das Maria-Hilf-Kapellchen mehr als nur ein einfaches Friedhofskapellchen war, denn schließlich wurde der Friedhof erst im Jahre 1872 eingerichtet. Damals beschloss der sog. "Katholische Verein", der die Errichtung einer eigenen Pfarrgemeinde Roisdorf betrieb, das Eckgrundstück Bonner Straße/Widdiger Weg von den Eheleuten Josef Müller und Margarete Rech zu diesem Zweck zu erwerben. Nach der Einzäunung des Grundstücks markierte das Heiligenhäuschen, das in kirchlichem Besitz verblieb, den Eingang zum Friedhof, der in das Eigentum der Zivilgemeinde überging.

Man dürfte das Grundstück gerade wegen des längst bestehenden Kapellchens gewählt haben, war hiermit doch eine Tradition verbunden, die auch andernorts oft zur Anlage von Friedhöfen geführt hat: Das Kapellchen nämlich bildet sehr wahrscheinlich den letzten erkennbaren Rest eines "Sieches", also eines Hauses, in dem man in früheren Zeiten die vom Aussatz, also von der Seuche der Lepra befallenen Personen, die Leprosen, unterzubringen pflegte.

Ausschnitt aus einem Pachtvertrag des Klosters St. Clara mit Halfen ihres Roisdorfer Hofes von 1716

Für das Roisdorfer Sieches gibt es nur wenige schriftlichen Quellen. Der älteste Beleg ist ein Straßenname: "Siegesstraße", was nichts mit einem militärischen Sieg zu tun hat, sondern eigentlich "Siechesstraße" bedeutet, also die Straße bezeichnet, die vom "Dorf", d.h. von der Brunnenstraße aus, zum Sieches führte. Zuerst wird die Roisdorfer "Sieghausgasse" im Jahre 1689 erwähnt. Mehrere Beschreibungen der zum Roisdorfer Clarenhof gehörenden Ländereien aus der Zeit um 1700 nennen dann ausdrücklich das an der Bonner Straße gelegene "Siechhaus".

Hierzu fügt sich, dass noch im späten 19. Jahrhundert in unmittelbarer Nähe die Flurnamen "Klapperbüsch" oder "Klappertau" belegt sind, die der Dersdorfer Heimatforscher Horst Bursch mit den Klappern in Verbindung bringt, mit denen die Leprosen die Gesunden vor einer Begegnung zu warnen hatten. Gleichfalls könnte der heute noch bestehende Flur- bzw. Straßenname "Rosental" für das Gebiet bei dem Landgardgelände als ein verkürztes "Leprosental" zu deuten sein. Bereits 1422 bezeugt, könnte dieser Name auf eine über mehrere Jahrhunderte währende Existenz des Roisdorfer Sieches hinweisen.

Mittelalterliches Straßennetz des Vorgebirges

Solche Siechenhäuser waren während des ganzen Mittelalters und bis weit in die Neuzeit hinein verbreitet. In unserer näheren Umgebung sind sie auf der (Josefs-)Höhe bei Bonn, bei Uedorf, bei Godorf und, wie erwähnt, bei Waldorf bezeugt, wo heute ein Gedenkstein an das ehemalige "Siechesmaar" gemahnt. Ebenso wie das Roisdorfer Sieches lagen diese Häuser aus Furcht vor Ansteckung außerhalb der bewohnten Ortschaften und zwar an belebten Straßen, da dort genügend Leute vorbeikamen, bei denen man milde Gaben einsammeln konnte. Im Falle unseres Sieches war es die vielbefahrene Straße, die von Bonn über Düren nach Aachen führte und die vielen als "Heerweg" bekannt ist, was soviel wie "hehrer", also bedeutender Weg meint. Ein Zweig dieser Straße führt im Verlauf der heutigen Bonner Straße von Bonn kommend als "Hohe Straße" oder auch "Kayserstraße" auf Bornheim zu, wo er sich mit einem anderen, von der Mondorfer Fähre ausgehenden Zweig vereinte. Das Sieches war dort gelegen, wo sich der "Heerweg" mit dem von Alfter kommenden "Kölner Pfad" kreuzte.

Leprosengütchen auf der Josefshöhe bei Bonn

Meist hatten die Siechenhäuser die Form des Leprosengütchens, d.h. sie bestanden aus einer Gruppe von kleinen Einzelhäuschen der Kranken, einigen Wirtschaftsgebäuden und, wenn eigenes Betreuungspersonal vorhanden war, aus Wohnungen für Siechenknecht bzw. -magd. Hinzu kamen bisweilen eine Kapelle mit Friedhof, ein Garten und ein Stück Ackerland, das von den noch kräftigen Siechen bearbeitet werden konnte. Die ganze Anlage war von einer Mauer umschlossen. Die durch eine besondere Tracht gekennzeichneten Kranken lebten so in fast klösterlicher Abgeschiedenheit, ohne ärztliche Betreuung - die Krankheit galt als unheilbar - bis der Tod sie von ihrem Leiden erlöste. Ihre Einkünfte bezogen die Siechenhäuser vorwiegend von der allgemeinen Wohltätigkeit. Zu frommen Stiftungen und Schenkungen kamen Gelder aus Bettelgängen und aus dem stets vorhandenen Opferstock. Nicht selten freilich kamen die Häuser sogar zu einem gewissen Vermögen, so dass es auch für Gesunde erstrebenswert sein konnte, dort unterzukommen. Eine Untersuchung der Bewerber war daher notwendig, um Simulanten abzuwehren. Mit dem Beginn des 18. Jahrhunderts hatte jedoch der Aussatz seine Bedeutung als Volksseuche verloren. Die Siechenhäuser wurden damals meist auf Befehl des Landesherren abgerissen, zumal man fürchtete, dass sich in ihnen allerhand Räuberbanden einnisten könnten. Auch das Roisdorfer Sieches dürfte spätestens damals aufgegeben worden sein. Lediglich sein Kapellchen mit dem Opferstock überdauerte.

St. Sebastian auf einer Urkunde des "Katholischen Vereins", 1866

Neben dem Maria-Hilf-Kapellchen scheint das einstige Sieches jedoch noch ein weiteres Erbe in Roisdorf hinterlassen zu haben. Möglicherweise geht das Patrozinium der Roisdorfer Pfarrkirche, St. Sebastian, auf das Sieches zurück. Das Sebastianuspatrozinium nämlich gibt einige Rätsel auf: Als man im Jahre 1773 am Fuße des Lindenbergs die erste kleine Roisdorfer Kirche, die Vor-vorgängerin der heutigen Pfarrkirche, zu Ehren des hl. Sebastian weihte, war dies für die damalige Zeit völlig untypisch. Der hl. Sebastian und der hl. Rochus, von deren Verehrung in der spätbarocken Kapelle kunstvolle Statuen zeugten, waren im späten Mittelalter und der frühen Neuzeit beliebte Nothelfer in Zeiten von Pestepidemien gewesen, ebenso hatten sie die Menschen um ihre Hilfe angerufen, die von Aussatz befallen waren. Anknüpfungspunkte waren dabei die Marterwunden des hl. Sebastian, die den Pestbeulen bzw. den Wunden des Aussatzes glichen, sowie die tatsächlichen Pestbeulen des hl. Rochus gewesen, welcher der Legende nach auf einer Wallfahrt von dieser Krankheit befallen worden war. Im späten 18. Jahrhundert lag jedoch die letzte Pestepidemie, die das Rheinland heimgesucht hatte, mehr als 100 Jahre zurück und die Fälle von Aussatz waren, wie erwähnt, weitgehend zurückgegangen.

Altarplatte des Heinrich Butgen 1697

Wenn man also in dieser Zeit eine Kapelle nach den beiden Aussatz- bzw. Pestnothelfern benannte, so dürfte dies nicht angesichts einer aktuellen Not, sondern in Fortführung einer vor Ort bestehenden Kulttradition geschehen sein. Die neuerbaute Sebastianuskapelle hatte indes keinen baulichen Vorgänger, von dem das Patrozinium übernommen werden konnte, zudem gibt es keine Hinweise auf eine eventuell in Roisdorf bestehende Sebastianus- oder Rochusbruderschaft. Es liegt somit die Vermutung nahe, dass man 1773 das Patrozinium von einer bestehenden älteren auf die neuerbaute Kapelle übertrug. Hierauf weist auch eine kleine, bis heute erhaltene Altarplatte hin, die man in der Sebastianuskapelle wiederverwendete, und die, wie eine Inschrift bezeugt, im Jahre 1697 von einem gewissen Heinrich Butgen gestiftet worden war. Als Herkunftsort des Patroziniums und der Altarplatte bietet sich das Kapellchen des aufgelassenen Sieches förmlich an, waren doch die mittelalterlichen Siechenhäuser bzw. ihre Kapellen nicht selten den beiden Nothelfern Sebastianus und Rochus geweiht gewesen. Sollte es sich in dieser Weise verhalten haben, dann wäre dem Kapellchen des ehemaligen Sieches in der Folge die Mutter Gottes vom guten Rat als neue Patronin zugewiesen worden.

Klappern, mit der die Leprosen die Gesunden vor einer Annäherung warnen mussten

Freilich bleibt dies eine Hypothese. Vielleicht führen jedoch eines Tages neu entdeckte Schriftquellen zu deren Bestätigung. Ebenso ist zu hoffen, dass sich neue Quellen auftun, die Konkreteres über die Geschichte des ehemaligen Roisdorfer Sieches an der Bonner Straße erkennen lassen.

Seit einigen Jahren informiert eine kleine Hinweistafel über die weit zurückreichende Geschichte des bescheidenen Maria-Hilf-Kapellchens. Es ist dabei erfreulich, dass das Kapellchen keineswegs nur ein denkmalpflegerisch betreutes Zeugnis für die Formen sozialer Fürsorge in vergangenen Zeiten darstellt, sondern ein wichtiges Element der Roisdorfer Volksfrömmigkeit geblieben ist.